OPERNDORF AFRIKA - BAR 3000
by Claus Föttinger , Moustapha Diop , Jeannette Mohr
Opening: 09/11/2018 19:00
On view till: 14/12/2018
AUSSTELLUNG DER OPERNDORF AFRIKA RESIDENCE ARTISTS 2017
09.11.2018 Fr 20 Uhr: Artist Talk
mit den Künstlern Mahamoudou Moustapha Diop, Claus Föttinger, Jeannette Mohr und Aino Laberenz (Geschäftsführerin Operndorf Afrika)
10.11.2018 Sa 19 Uhr: Filmvorführung
Knistern der Zeit
(Deutschland, 2012, OmE, 112 min. R: Sibylle Dahrendorf) mit anschließendem Q&A mit Aino Laberenz
16.11.2018 Fr 20 Uhr: Filmabend
Au pays des Hommes intègres von Moustapha Diop
kawule/ailes d’épervier von Moustapha Diop und Jeannette Mohr
23.11.2018 Fr 20 Uhr: Filmscreening
Une Revolution Africaine
(Burkina Faso 2015, OmE 98 min, R: Boubacar Sangar, Gidéon Vink)
27.11.2018 Di 20:00 Uhr: Filmscreening
The Koro of Bakoro
(Burkina Faso, Frankreich / 2017 / OV / 78 Min/ by Simplice Herman Ganou)
14.12.2018 Fr 20:00 Uhr: TALK
Die Bar Als Künstlerisches Konzept
Talk by Claus Föttinger + Stephan Machac
Sound by Harmonious Thelonious
Bar by Annika
Etwa 30 Kilometer nordöstlich von Ouagadougou, der Hauptstadt des westafrikanischen Burkina Faso liegt das Operndorf Afrika. Dieses Dorf geht als Projekt in progress auf die Vision des Regisseurs, Autors, Künstlers, Theater-, Medien- und Polit-Aktivisten Christoph Schlingensief für ein „Festspielhaus Afrika“ zurück. Dort wurde am 13. Oktober 2018 das bisher größte Barprojekt von Claus Föttinger, seine Bar 3000, als künstlerischer Beitrag im Operndorf in Betrieb genommen. Die jederzeit öffentlich zugängliche Bar mit regelrecht architektonischer Dimension wurde direkt vor Ort, im Rahmen dreier Aufenthalte des Künstlers für die spezifische bauliche, soziale und kulturelle Situation des Operndorf konzipiert. Im Herbst 2017 begonnen, wurde es nun unter tätiger Mitarbeit Föttingers in drei Bauabschnitten realisiert und mit einem veritablen Rave eröffnet. Zur Eröffnung kam in Kooperation mit dem Africa Bass Festival ein Programm mit Musiker_innen und DJ’s u. a. aus Burkina Faso, Ghana, Frankreich und Deutschland zustande. Dabei nutzten einige hundert Gäste, überwiegend locals und viele internationale Besucher_innen die frisch fertiggestellte und überdachte Bar ganz nach ihrer Bestimmung: als Ort der Begegnung und Kommunikation – zum Tanzen, Trinken und ausgelassenen Feiern. Bar 3000 stellt ein gelungenes Beispiel für eine public art dar, die ihren künstlerischen Zweck aus der Nutzung, Interaktion und gemeinschaftlichen Verwirklichung bezieht.
Mit Referenz auf Schlingensiefs legendär gewordenes, anarchistisches Musik-TV- und Talk-Projekt U3000 betitelt, ist Claus Föttingers Barprojekt schließlich auch eine Hommage an den 2010 verstorbenen Initiator des Operndorfs Afrika. Schlingensiefs Lebenspartnerin Aino Laberenz verdankt sich seitdem die Fortführung dieses anspruchsvollen Projekts.
Seit Anfang der 1990er Jahre hat Föttinger die Bar als ‚Medium’ seiner künstlerischen Arbeit etabliert. Der in Düsseldorf und dem türkischen Seddülbahir bei Çanakkale lebende Künstler richtet seine Bar je nach Anlass als temporäre soziale Situationen oder dauerhaft skulptural hergestellt sites ein, die von den Besucher_innen in Gebrauch genommen werden können. Zugleich nutzt er sie als Display für jeweils spezifische, anlassgerecht entwickelte Themenstellungen: diese Themen bestimmen die Konzeption und Gestaltung der Bars, umfassen etwa ihre Möblierung, die ausgefeilten Bild- und Musikprogramme, die darin integriert sind, und sogar noch die angebotenen Getränke. Im Medium der Bar entfaltet Föttinger entsprechend – und gerade auch im Austausch mit den Besucher_innen sozusagen ‚live’ und direkt – einen Metadiskurs, der, durchaus subjektiv, seine kontinuierliche Auseinandersetzung mit historischen, alltags- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen widerspiegelt und als soziales Anliegen transportiert. Bereits in früheren Barprojekten wie Hermann’s Döner Inn (2001), das auf dem globalen Superzeichen von McDonalds basiert, oder Moscheenwand mit Kreuzbar (2003), einer Spurensuche islamischer religiöser Praxen anhand von Moscheebauten in Deutschland, thematisierte Föttinger verschiedene Geschichtskonzepte und Befindlichkeiten im Spannungsfeld der Auseinandersetzung mit dem so genannten ‚Fremden’ und ‚Anderen’. Im Rahmen der 2016 neu formulierten Bar 60/99 wurde die sogenannte Flüchtlingskrise zum Leitmotiv, das Föttinger mit Fokus auf die Grenzsituation zwischen Asien und Europa im größeren Zusammenhang globaler Migration zur Diskussion stellt.
Bar 3000 ist die bisher umfangreichste und aufwändigste Bar Föttingers, auch, weil sie als Architektur eine dauerhaft feste Funktion im Operndorf Afrika einnimmt und sich entsprechend auf die bereits bestehenden Bauten und ihre Funktion beziehen musste. Architektonisch, bautechnisch und mit Blick auf die zweifache Funktion – einmal spezifisch als Bar und zweitens, als jederzeit öffentlich zugänglicher Aufenthaltsort im Zentrum des Operndorfs, der sich tagsüber vor allem an die zahlreichen dort lebenden Schüler_innen richtet – hat Föttinger seine Bar 3000 eng an der bestehenden, von Diébédo Francis Kéré entwickelten Architektur ausgerichtet, die für die bereits vorhandenen bzw. weiterhin geplanten Schul-, Verwaltungs- und Nutzbauten zum Einsatz kam. Dabei geht es ebenso um Fragen der Ästhetik wie darum, mit vor Ort gebräuchlichen Materialien und Techniken ein Stück multifunktionaler Architektur und zugleich eine Freiluftskulptur herzustellen, welche sich in die Campussituation des Operndorfs einfügt und den extremen klimatischen Bedingungen gewachsen ist.
Für Bar 3000 hat Föttinger zusammen mit lokalen Handwerkern und Helfern eine rechteckige Plattform/Tanzfläche samt einem langen, massiven Tresen aufgemauert und mit Fliesen vollverkleidet. Die einfach gebrannten, nicht glasierten Fliesen wurden traditionell aus Lehm hergestellt und mit in der Region typischen Ritzmustern, etwa stilisierten Adlerschwingen oder der Chiffre eines Fischernetzes, versehen; diese Motive konnte Föttinger während seines Aufenthalts recherchieren. Eine besonders große Herausforderung bedeutete das Dach: eine flexible, winddurchlässige Konstruktion aus Segeltuch, die Föttinger zusammen mit Marco Glashagen entwickelt und vor Ort mit dem Techniker Denis Tapsoba abgestimmt hat. Das zwischen schlanken Eisenträgern eingehängte Dach überspannt die gesamte Baranlage und bietet Schutz vor der Sonne. Die gesamte Anlage ist so konzipiert, dass sie auch extremen Wetterlagen etwa während der Regenzeit standhält. Die Eisenträger wurden zugleich mit metallenen Tischflächen für den Barbetrieb ausgestattet und mit Steckdosen sowie USB-Ports als Ladestation für Mobiltelefone etc. versehen. Energieneutral von einer Fotovoltaik-Anlage im Operndorf versorgt, wird der Tresen darüber hinaus Kühlschränke enthalten und macht gekühltes Wasser verfügbar – eine in Burkina Faso keineswegs selbstverständliche Ressource
Als Werk der public art in der Tradition einer, nach Hilmar Hoffmann, ‚Kunst für Alle’ richtet sich Bar 3000 zumal an die im Operndorf lebenden und lernenden Schülerinnen und Schüler. Dezidiert als ‚öffentlicher’ Ort in Szene gesetzt, spielt Aufenthaltsqualität daher eine umso wichtigere Rolle. Für die feierliche Zeugnisvergabe hat Föttinger deshalb auch ein spezielles Lampenset – mit Smiley-Motiven von Jeannette Mohr als Dekor – entwickelt.
Im Sinne seines Initiators ist der Aufbau des Operndorfs bzw. sein konkreter Betrieb, die Schaffung von Wohn- und Arbeitsraum, die Schaffung von Logistik, das soziale und kulturelle Leben vor Ort und speziell der Schulbetrieb selbst die Oper, die daran Mitwirkenden werden zu ihren Akteuren – das Gesamtkunstwerk ein Akt radikaler Inklusion.
Ein eigener Programmpunkt war das Theaterprojekt der Autorin und Dramaturgin mit Kindern des Operndorfs, das sie ebenfalls während zweier residencies vor Ort entwickelt hat. Mit der Bar 3000 nunmehr als Bühne war Mohrs künstlerisch/pädagogischer Beitrag diesmal entsprechend als kollektives Projekt in Form eines Workshops für zehn Schüler_innen angelegt. Mit minimalen Requisiten, bunten Regencapes, Luftballons, Seifenblasensets, einer Djembé ausgestattet ging darum über sprachliche Hürden und kulturelle Konventionen hinweg die gemeinschaftliche Artikulation als Grundlage theatralen Handelns erfahrbar zu machen, dies einem Publikum einerseits zu zeigen, andererseits aber auch die Grenzen zwischen Akteur_innen und Zuschauer_innen zu durchbrechen: Theater wurde so ganz grundsätzlich als gesellschaftlich vereinbarter symbolischer Ort für das gemeinschaftliche Sicht- und Hörbarmachen von Erfahrungen, Stimmungen und Fantasie erfahrbar. Das Stück schrieb sich aus der kollektiven Dynamik heraus sozusagen ad hoc selbst und war zugleich an das Environment Operndorf, die unmittelbaren Lebensbedingungen der Teilnehmenden rückgekoppelt.
Im Rahmen des Workshops und der Aufführung entstandenes Filmmaterial ist Grundlage für eine seitdem in Düsseldorf fortgesetzte Kooperation Mohrs mit Mouhamadou Moustapha Diop. Der aus dem Senegal stammende Künstler und Filmemacher hat in Dakar bildende Kunst studiert und war auf Einladung von Alex Moussa Sawadago, dem Film und Kunstbeobachter der Szene in Westafrika vom Operndorf Afrika, ebenfalls artist-in-residence 2017. Das Zusammentreffen von Künstler_innen europäischer und afrikanischer Herkunft im Rahmen einer residency wie dem Operndorf ist dabei keineswegs selbstverständlich, sondern stellt auch ein Alleinstellungsmerkmal da.
Die Ausstellung zur Bar 3000 im Düsseldorfer Studio for Artistic Research präsentiert nun neben einer multimedialen Dokumentation der Projekte von Claus Föttinger und Jeannette Mohr eine Auswahl von Malereien sowie den experimentellen Film „Au pays des Hommes intègres” von Moustapha Diop. Zudem ist erstmals ein Kurzfilm mit dem Titel „kawule/ailes d’épervier“ zu sehen, der auf von Mohr im Operndorf realisierten Bild- und Tonaufnahmen basiert. kawule ist ein Ausdruck in Mo’oré, einer in Burkina Faso gebräuchlichen Sprache und bedeutet „Adlerschwingen“ – wie erwähnt, ist das auch ein Gestaltungselement der Bar 3000.
In Diops künstlerischer Praxis spielt das Material und dessen direkte Verwendung im Bild eine große Rolle, etwa durch den Einsatz von Zement als Malstoff oder die Art und Weise, wie er gefundene Gegenstände für Animationen einsetzt. Ohne vorgefertigtes Script aus der Situation heraus entstanden, ist Diops rund dreißigminütiger Film „Au pays des Hommes intègres” das Dokument eines buchstäblich from scratch entwickelten Projekts. Im Film, ja sogar in der experimentellen Arbeitsweise, auf der er basiert, spiegeln sich die für Bevölkerung von Burkina Faso typischen Lebens- und Arbeitsbedingungen, die durch den erschwerten und in jedem Fall teuren Zugang zu Mobilität und Technik, durch die generell massiv eingeschränkte Verfügbarkeit von Ressourcen gekennzeichnet sind. Vor diesem Hintergrund sind die Projekte der artists-in-residence unbedingt auch als Reaktion auf diese Erfahrung und ihre künstlerische Reflexion zu verstehen.
Text: Hans-Jürgen Hafner
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